Aus der Leere in die Fülle

Weniger ist mehr

Der Frühling ist eine Zeit des Aufbruchs, die Natur erwacht.

Die Sonnenkraft nimmt zu und lässt den Schnee des Winters schmelzen.

Aus dieser Naturbeobachtung heraus entwickelte der Ayurveda vor mehr als 2000 Jahren eine medizinische Analogie: das angesammelte Kapha „verflüssigt“ sich und überflutet unseren Körper. Zeit für Ausleitung!

Die reinigenden Verfahren werden ayurvedisch in der einzigartigen Kurmethodik des Panchakarma zusammengefasst. Überschüssige Dosha (allen voran Kapha), angesammelte Stoffwechselabfallprodukte und unerwünschte Gewebezunahmen (vor allem Fettgewebe) werden schrittweise eliminiert. An Stelle belastender Fülle tritt nun Leichtigkeit und Dynamik, das gestärkte Agni wärmt und energetisiert uns und Blockaden in den zahlreichen Kanälen unseres Körpers lösen sich auf.

Wer keine zeitlichen oder finanziellen Ressourcen zur Durchführung einer Panchakarma Kur hat, kann die Idee der Reduktion und Klärung auch in Heimdurchführung sanft umsetzen. Durch individuell zuträgliche Nahrungskarenz, verbunden mit leichten Ausleitungen in Eigenregie, lassen sich somit schon beachtliche gesundheitliche Resultate erzielen.

Was geschieht in unserem Geist, wenn unser Körper entschleimt, entwässert oder von Darmrückständen befreit wird?

Das Problem mit der Fülle

Häufige Ursachen unserer Fülleprobleme sind eigentlich schnell benannt:

  • Wir essen zu oft und zu viel, zu kalt, feucht/ölig und schwer. Das überfordert unsere Verdauungskraft und führt zu Rückständen.
  • Wir sitzen oder liegen zu viel und bewegen uns zu wenig. Das führt zu einem Missverhältnis zwischen Energieaufnahme und -verbrauch.
  • Wir nehmen passiv durch „Push-Meldungen“ zu viele Sinnesreize und Informationen auf, die wir nur unzureichen verarbeiten können.

 

Wenn auch Sie sich in diesen drei Faktoren wiederfinden, sollten Sie an eine Entlastung jetzt im Frühling denken. Unser Organismus hat nur eine begrenzte Kapazität, angesammelte Rückstände aus eigener Kraft abzubauen und damit – im wahrsten Sinne des Wortes – die Wege wieder freizuschaufeln. Blockaden der Zirkulation führen zu einer schlechteren Versorgung unseres Körpers und Geistes und zugleich mangelhaften Entsorgung der Abfallstoffe. Daraus können neue Krankheiten entstehen oder alte unnötig lange aufrecht erhalten werden.

Unsere Wahrnehmung von Mangel

Interessant ist, dass Viele von uns eher ein Mangelbewusstsein haben, auch wenn eigentlich Fülleprobleme vorliegen. Wir fühlen uns vielleicht erschöpft, ausgezehrt, wenig belastbar, schnell reizbar, überfordert. Oder einfach nur „leer“. Diese Leere entsteht oft aus einer Fülle.

In der Ayurvedamedizin gibt es hierfür ein spannendes Konzept, es wird Avarana genannt und bedeutet einschließend, bedeckend, umhüllend. Wenn Fülle und damit Kapha steigt, wird die Bewegung von Vata blockiert. Vata erzeugt gerne Gefühle der Schwäche und Leere. Entfernen wir die Zwangsjacke der Fülle, kann sich Vata wieder frei bewegen und Energie kehrt zurück. Das ist einer der Gründe, weshalb wir uns trotz weniger Nahrung und zudem körperlich anstrengenden Ausleitungen oft viel stärker fühlen als im Alltag, in dem wir keine Mahlzeit auslassen.

Angst vor Leere

Leere hat in unserem Kulturkreis keinen guten Ruf. Sie klingt nach Verlust, nach Mangel, nach Schwäche. Wer will schon zu wenig von Allem haben? In den asiatischen Kulturen gilt die Erfahrung von Leere als ein Weg zu sich selbst, zu seiner wahren Natur und tiefen Erkenntnis aller Phänomene.

Oft fragen mich Patient(inn)en, ob bei reduzierter Nahrungsaufnahme keine Mangelzustände entstehen? Unsere westliche Wissenschaft hat uns jahrzehntelang gelehrt, wie viele Nährstoffe wir benötigen, um gesund zu funktionieren. Auch wenn diese Empfehlungen sicherlich auf gewissen Erkenntnissen beruhen, sollten wir sie immer wieder kritisch hinterfragen.

Ein einfaches Beispiel: wie sollen wir auf natürlichem Wege 0.8 Gramm Protein je kg Körpergewicht zu uns nehmen, ohne Berge an zweifelsfrei wenig gesundem Fleisch, Fisch oder Milchprodukten zu uns zu nehmen? Durch moderaten Konsum von Linsen, Nüssen und Vollkornwaren kommen wir kaum zu derartigen Mengen – und die medizinische Erfahrung aus der Praxis zeigt, wir müssen es auch gar nicht.

In der Stille wird es laut

Ein häufiger Grund, weshalb wir uns überernähren, mit Aufgaben vollpacken und ständig auf Achse sind, liegt in der Vermeidung von belastenden inneren Erfahrungen. Diese können störende Gedanken, schmerzhafte Gefühle oder unangenehme Empfindungen sein.

Lassen wir in einer Panchakarma- oder Fastenkur unsere äußeren Aktivitäten ruhen, reduzieren unsere Nahrungsaufnahme und reinigen den Körper innerlich, entsteht Stille. Je ruhiger das Außen, desto lauter wird es innen. Dialoge entstehen, Filme laufen ab, Erinnerungen kommen hoch, Befürchtungen und Katastrophisierungen breiten sich aus.

Versuchen Sie in diesen Momenten nicht, sich wieder abzulenken und neue Reize aufzunehmen. Stellen Sie sich stattdessen diesen völlig natürlichen Prozessen und lernen Sie, diese als temporäre Phänomene in Ihrem Geist zu erleben. Sie kommen und gehen, wie Wolken am Himmel oder Wellen im Meer. Übermäßige Beachtung bringt Verstärkung. Eine offene Annahme und innere Bereitschaft lässt sie schnell wieder vergehen.

Drei Erfahrungen von Leere

Leere erleben Sie – meist unbewusst – alle paar Sekunden: Sie atmen aus. Jede Einatmung ist ein Moment der Fülle, jede Ausatmung führt zu Leere. Wenn Sie tief ausatmen und am Ende eine kurze Pause einlegen, bevor Sie wieder einatmen, können Sie bewusst die Magie der Leere wahrnehmen und genießen. Sie führt direkt in die Stille.

Eine weitere, einfach durchführbare Möglichkeit, um Leere zu erfahren, ist das konsequente Vermeiden von Zwischenmahlzeiten und die Reduktion auf zwei Hauptmahlzeiten täglich. Wenn Hunger auftritt, lassen Sie ihn zu und spüren Sie, wie Ihr Körper nun anstelle aufgenommener Nahrung Ihre Altlasten verbrennt und abbaut. Eine großartige Erfahrung.

Eine uns Allen bekannte, riesige Herausforderung führt uns zur dritten Erfahrung. Die übermäßige Nutzung von TV, Internet und sozialen Medien führt zu einer massiven Reizüberflutung. Das Antidot hierzu lautet digitales Fasten. Schalten Sie hierzu täglich zu festgelegten Zeiten, oder während einer Kur auch mehrere Tage lang, alle digitalen Empfangsgeräte AUS. Und nutzen Sie diese künftig nur noch als Pull-Medien – so entscheiden nur Sie, wann welche Nachrichten zu Ihnen gelangen. Schalten Sie gleich jetzt alle Push-Funktionen aus, das wird Ihre Leben sofort verändern.

Die alten asiatischen Hochkulturen helfen uns, einen gesünderen Zugang zu Fülle und Leere zu finden. Das Purnamada Mantra aus der Isha Upanishad fasst das wahre Verständnis von Fülle wundervoll zusammen:

Hier ist Fülle, dort ist Fülle. Aus der Fülle erwächst die Fülle. Wenn man der Fülle Fülle wegnimmt, bleibt Fülle übrig.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen leichten Frühling.

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